Allgemein

Wie lange kann das Finanzamt noch Steuern (Einkommensteuer) für frühere Jahre nachfordern?

Hier sind fünf verschiedene Fälle zu unterscheiden:
Die Festsetzungsfrist für die Festsetzung von Ertragssteuern wie der Einkommensteuer beträgt vier Jahre (§169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Der Lauf der Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres in dem die Steuer entstanden ist (§170 Abs.1 AO). Der Steueranspruch der Einkommensteuer entsteht mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres (§38 AO, RFH RStBl. 36, 115).

Beispielfall: Die Einkommensteuer des Jahres 2018 entsteht damit zum 31.12.2018.

Fall 1:
 Antragsveranlagung (keine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung)
Bei einer vierjährigen Festsetzungsverjährung wären die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (Nachzahlung wie auch Erstattung) zum 31.12.2022 verjährt.

Fall 2: Es wurde eine Einkommensteuererklärung abgegeben
Gem. § 170 Abs. 2 Nr.1 AO beginnt in diesem Fall der Lauf der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde.
Im Beispielfall wurde die Steuererklärung für das Jahr 2018 im Jahre 2019 beim Finanzamt eingereicht. Damit beginnt der Lauf der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2019.
Der Festsetzungsverjährung tritt mit Ablauf des 31.12.2023 ein.

Fall 3: Es wurde - trotz Verpflichtung -  keine Einkommensteuererklärung abgegeben.
Gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt der Lauf der Festsetzungsverjährung in diesem Fall (Pflichtveranlagung gem. §25 Abs. 3 EStG) mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Steuer ist im Jahre 2018 entstanden (siehe Fall 1). Mit Ablauf des 31.12.2021 beginnt der Lauf der Festsetzungsverjährung. Der Festsetzungsverjährung tritt mit Ablauf des 31.12.2025 ein.

Die Abgabenordnung enthält jedoch zwei Verlängerungen der vierjährigen Festsetzungsfrist (§169 Abs.2 S.2 AO). Einmal bei sogenannter „leichtfertiger Steuerverkürzung“ und einmal beim Tatbestand der Steuerhinterziehung.

Fall 4: Im Falle einer leichtfertigen Steuerverkürzung beträgt die Festsetzungsfrist fünf Jahre.
Dies bedeutet für den Beispielfall Nr. 3: Die Steuer ist im Jahre 2018 entstanden (siehe Fall 1). Bei leichtfertiger Steuerverkürzung beginnt mit Ablauf des 31.12.2021 beginnt der Lauf der nun fünfjährigen Festsetzungsverjährung. Der Festsetzungsverjährung tritt mit Ablauf des 31.12.2026 ein.

Fall 5: Im Falle einer Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist zehn JahreDies bedeutet für den Beispielfall Nr. 3: Die Steuer ist im Jahre 2018 entstanden (siehe Fall 1). Bei leichtfertiger Steuerverkürzung beginnt mit Ablauf des 31.12.2021 beginnt der Lauf der nun zehnjährigen Festsetzungsverjährung. Der Festsetzungsverjährung tritt mit Ablauf des 31.12.2036 ein.

Was ist nun unter einer „leichtfertigen Steuerverkürzung“ zu verstehen? "leichtfertig" ist mit "grob fahrlässig" gleichzusetzen. Der Steuerpflichtige hat durch die Nichtabgabe der Steuererklärung und Versäumung der Abgabefrist selbst verursacht, dass die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt werden konnte (vergl. AO-Kommentar Tipke/Kruse zu § 169 AO). Der Steuerpflichtige wusste von der Abgabeverpflichtung, er ahnte davon hat es aber verdrängt, er hat es grob fahrlässig unterlassen sich darum zu kümmern oder sich darüber zu informieren. Ob dies beispielsweise bei einem siebzigjährigen Rentner, der seit Jahren keine Steuererklärung mehr abgeben musste, zutrifft, ist jedoch fraglich. Vielen Rentnern hatte die Finanzverwaltung sogar schriftlich mitgeteilt, dass ihre "Steuerakte geschlossen" wird und sie keine Steuererklärungen mehr abzugeben brauchen, soweit sich ihre Einkommensverhältnisse nicht ändern. Tatsächlich haben sich dann nicht die Einkommensteuerverhältnisse der Rentner, sondern die Besteuerungsregeln für die Renten geändert und zwar in der Form, dass in vielen Fällen ab dem Jahre 2005 wieder eine Einkommensteuererklärung abzugeben war. In der Praxis sind Rentner meist altersbedingt nicht bereit hier einen nervlich anstrengenden Streit mit der Finanzverwaltung auszutragen.

"Steuerhinterziehung" setzt "Wissen und Wollen", also vorsätzliches Handeln oder Unterlassen voraus. Dies umfasst auch das „nicht wissen wollen“, d.h. nicht darum kümmern, obwohl die Klärung von Zweifeln leicht hätte erfolgen können. Erfolgte der Erlass des Steuerbescheides nach Ablauf der Festsetzungsfrist, ist der Steuerbescheid nicht nichtig, sondern mit einem Einspruch anfechtbar (§347 Abs. 1 AO). Ob nun im konkreten Einzelfall die vierjährige, fünfjährige oder zehnjährige Festsetzungsverjährungsfrist greift, kann durch ein Rechtsbehelfsverfahren geklärt werden. Wird der Eintritt der Festsetzungsverjährung festgestellt, wird damit der rechtswidrige Steuerbescheid ersatzlos aufgehoben. Wird die Einspruchsfrist versäumt, ist der Bescheid bestandskräftig und innerhalb der Zahlungsverjährung (§228 AO – fünf Jahre) vollstreckbar. 

Für Betroffene ist jedoch sorgfältig zu prüfen, ob über die Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist wegen Erfüllung des Tatbestandes einer leichtfertigen Steuerverkürzung oder einer Steuerhinterziehung ein Finanzrechtstreit geführt wird. Stellt sich am Ende heraus, dass der Tatbestand der Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung erfüllt ist, muss dann ggf. noch mit einem zusätzlichen Bußgeld/Strafverfahren gerechnet werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass hier die einzelnen Bundesländer unterschiedlich verfahren. Teilweise wurden bereits gegen Rentner wegen leichtfertiger Steuerverkürzung Bußgelder festgesetzt.

Stand März 2023